BELGRAD IMMER WIEDER

“Belgrad immer wieder” is an exhibition by Zorana Mušikić, curated by Gernot Schander from the 8.12. to the  23.12.

Als ich klein war, sagte mein vater jedes mal bevor ich nach belgrad
zu meinen großeltern fuhr: pass bloß gut auf vor den kommunisten.
ich stellte mir kommunisten damals als superkonspirativ
organisierte, verdammt gefährliche männer in weißen
plastikschutzanzügen vor, die hinter den mauern der hochhausblocks
lauerten und kleine mädchen jagten. ich war total neugierig, was sie
wohl mit den ganzen mädchen machten. immer habe ich nach ihnen
ausschau gehalten, doch leider bin ich nie einem von ihnen begegnet.
belgrad immer wieder ist der subjektive blick einer heimattouristin.

 

Zorana Mušikić
Geboren am 05.10.1976 in Bad Kreuznach
Magister in Neuerer deutschen Literatur und Medienwissenschaft,
Graphik und Malerei und Philosophie an der Philipps Universität
Marburg (2002) .
Seit 3 Jahren Arbeit als freie Regisseurin und Cutterin, Foto- und
Videokünstlerin und als Hörfunkautorin und Texterin in Berlin.
Kurzfilme auf internationalen Festivals:
"Der Fasan" (2005)
"Hardcore" (2006)
Musikvideos u. a. für Pyranja, Ostblokk, Tefla & Jaleel
Ausstellungen:
Lovepop (2004)
im Rahmen der Berliner Magistrale.
Basement der Galerie der Künste Berlin
Wunschzettel – Was hinter Moabiter Fassaden geträumt wird (2006)
Streetartprojekt im Rahmen der Moabiter Kulturtage

belgrad immer wieder.
als ich klein war, sagte mein vater jedes mal bevor ich nach belgrad
zu meinen großeltern fuhr: pass bloß gut auf vor den kommunisten.
ich stellte mir kommunisten damals als superkonspirativ
organisierte, verdammt gefährliche männer in weißen
plastikschutzanzügen vor, die hinter den mauern der hochhausblocks
lauerten und kleine mädchen jagten. ich war total neugierig, was sie
wohl mit den ganzen mädchen machten. immer habe ich nach ihnen
ausschau gehalten, doch leider bin ich nie einem von ihnen begegnet.
jedes jahr verbrachte ich mindestens den sommer bei meinen
großeltern und mein ziel war es, wenn ich groß bin, auch in einem
hochhausblock zu wohnen und meine wäsche auf dem hochhausdach
aufzuhängen, einem labyrinth aus im kochtopf gewaschenen bettlaken,
weil meine oma der waschmaschine nicht vertraute, wenn es um
bettzeug und unterwäsche ging. zum modell glückliche belgrader
kindheit gehörte ebenfalls das spielen auf dem betonplatz zwischen
den hochhäusern, begleitet von regelmäßigen flüchen aus den
fenstern, wenn man zu laut war. manchmal versuchte man uns auch mit
wasser zu begießen. wenn wir hitler gegen die partisanen spielten,
musste ich immer hitler sein, weil ich aus deutschland kam. ich fand
das supergemein, denn die kinder erzählten, hitler sei im krieg
umgekommen, während tito eines natürlichen todes gestorben sei und
das war auf jeden fall viel cooler.
ein ganz wesentliches element meiner kindlichen jugoidentität war
das grillen auf der "ranch" meiner großeltern. man fuhr den halben
tag mit einem vollbeladenen fiat 500, man kann gar nicht oft genug
erwähnen, dass der jugoslawische fiat 500 serienmäßig mit
porschemotor fuhr, zu einer art schrebergarten im serbischen nichts
und wenn opa am ersten abend den grill anschmiss, flüchteten
milliarden von eidechsen aus dem grillgemäuer. das highlight jedoch
waren die verkohlten eidechsen, die dem flammentod nicht entrinnen
konnten und mit denen ich nach dem essen spielen durfte.
dann wurden meine eltern deutsche, ich entdeckte london und zwischen
mich und meiner kindheit stellte sich ein krieg. darin kamen keine
männer in weißen plastikanzügen vor, viel mehr verstand ich erst mal
nicht. und als ich wieder nach belgrad kam, baumelten in den autos
kreuze und heiligenbilder am rückspiegel, ich war vegetarier und
meine oma, seit dem tod meines großvaters, telenovelasüchtig.
die kinder aus dem block waren erwachsen geworden, manche erkannte
ich im vorbeigehen, wir redeten nie mehr miteinander. ich bin
trotzdem jedes jahr hingefahren, zu meiner oma, der personifizierten
projektion meiner kindheit und gralshüterin dessen, was an belgrad
mein zu hause ist.
in den letzten jahren habe ich in belgrad fotografiert. es ist der
subjektive blick einer heimattouristin, die einmal im jahr ihre
kranke großmutter besucht. jedes mal zum vielleicht letzten mal.